Ich stelle diesen selbst geschriebenen Text frei zu Verfügung, eine Nennung der Autorschaft wäre trotzdem nett :)
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Edwin A. Abbotts “Flatland” als feministische Satire des viktorianischen Englands – Vergleich von Roman und Realität Gliederung:
- Einleitung
- Definitorisches
- Inhaltliche Einführung in den Roman
- Hauptteil: Die Frauen Flatlands
- Abschluss: Klärung der satirischen Natur und Fazit
- Quellenverzeichnis 1 Einleitung Vor einigen Jahren, so dachte ich, in Wirklichkeit war es wahrscheinlich der 14. Oktober 2023, wurde in einer Sendung des deutsch-frazösischen Senders Arte1 ein mathematisches Buch erwähnt, das die oder den Leser*in durch verschiedene Dimensionen reisen lässt. Wie das gehen soll, fragen Sie sich? Nicht? Ich zumindest tat es und seitdem stand das Buch auf meiner Liste, bis ich vor einigen Monaten dazu kam, es zu lesen. Nach den ersten Seiten war ich schockiert, dass ein so frauenfeindliches und rückschrittliches Buch von einem derart vorzüglichen Sender in der heutigen Zeit beworben werden könnte, war allerdings zur selben Zeit verunsichert, wie wörtlich das Buch zu nehmen wäre. Daraus ergab sich die Frage, die auch im Titel dieser Arbeit steckt. Der Autor des Buches Flatland: A Romance of Many Dimensions2 von 1884 nennt sich im englischsprachigen Original pseudonym A. Square (Edwin A. Abbott), ich werde ihn hier im deutschen Das Quadrat nennen, solange ich mich auf ihn als Erzählinstanz beziehe. Das Buch wird auch meine Hauptquelle, zumindest für direkte Zitate, sein, für eine Textanalyse vermutlich nicht sonderlich überraschend. Definitorisches Vor dem Beginn meiner Arbeit gilt es, einen Begriff klarzustellen, den des Feminismus, wie er schon im Titel steht. Der Feminismus in seiner heutigen Form ist eine „Bewegung, die sich für politisch-praktische Maßnahmen zur Verbesserung der Lebenschancen von Frauen einsetzt“3, wie es die Bundeszentrale für politische Bildung definiert. Nun ist 1884 nicht 2024 und ich glaube, jeder Mensch kann sich vorstellen, dass in 140 Jahren einiges mit einer politischen Bewegung passieren kann. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass es sich bei dem Buch, auf das ich mich im Folgenden beziehe, um eine nur zwölf Jahre alte Übersetzung aus dem Englischen handelt, denn sie ist sehr nah am Original. Die Definition sollte der Zeit gerecht werden, aus der das Buch stammt und in der der Feminismus noch in seinen Kinderschuhen steckte. Die Ursprungszeit des Feminismus ist schwer genau zu bestimmen, hingegen existiert die Unterdrückung von Frauen 1 Siehe Quellenverzeichnis 2 Siehe Quellenverzeichnis. 3 Siehe Quellenverzeichnis. 2 schon seit Urzeiten in vielen Gesellschaften. Die verstärkte, öffentliche Thematisierung der Frauenfrage kann auf die Französische Revolution zurückgeführt werden, immerhin gut 100 Jahre vor Erscheinen der überarbeiteten Auflage Flatlands 1884, auf die ich mich beziehe. Lange ging es dabei im Wesentlichen um die gesellschaftliche Gleichstellung der Frau mit dem Mann, was auch heute noch die Essenz des Feminismus ist. Als kleinsten gemeinsamen Nenner verstehe ich in diesem Text also den Feminismus als „ Das Anstreben der Gleichstellung von Frau und Mann“, andere Geschlechter sind für den behandelten Zeitraum nicht von Relevanz, allein schon, weil die schwache Quellenlage wohl den zeitlichen Rahmen dieser Hausarbeit sprengen würde. Ebenso verhält es sich mit dem Finden einer Definition des Feminismus aus den archivarischen Quellen des viktorianischen Englands, die ich dann mit dem definitorischen Verständnis hier im Text abgleichen könnte. Meine verwendete Definition schließt die (historische,) feministische Praxis als Teil des Feminismus, wie es bei der Bundeszentrale für politische Bildung ein wenig anklingt, also bewusst aus, zumal ich mich hier nun einmal mit einem Roman beschäftige. Inhaltliche Einführung in den Roman Nachdem wir das Definitorische geklärt haben, kommen wir nun zum konkreten Inhalt der zu beachtenden Textpassagen des Buches. Dazu gebe ich zuerst eine kleine Einführung (ich halte sie so grob wie möglich) in die Welt Flatlands, mit welcher es sich gar nicht so anders verhält, als mit unserer vor 140 Jahren. Praktischerweise sprechen die Figuren Flatlands auch Englisch und keine eigene Sprache, soweit ähneln sich unsere Welten. Zumindest, wenn wir nur die gesellschaftlichen Aspekte der vor uns liegenden Welt betrachten. Es herrscht ein strenges Ständesystem, wie es gerade im viktorianischen England geherrscht hat, doch dazu später mehr. Ich sprach von einer „ Vor uns liegenden“ Welt. Das ist insofern eine unübliche Formulierung, als dass sie die Vorstellung einer Art übersichtlichen Luftbilds kreiert, vielleicht einer Karte. Eine solche Beschreibung ist innerhalb einer Übersicht (auch in diesem Wort wieder die Draufsicht) vielleicht nicht unüblich, unüblich ist jedoch die Buchstäblichkeit, die dieser Formulierung in diesem Fall 3 zugeschrieben werden kann und sollte. Wir sehen auf Flatland drauf, so wie wir auf eine mehr oder weniger zweidimensionale Karte sehen, dennFlatland besteht nur in der zweiten Dimension. Das ist der fundamentale Unterschied zwischen unserer Welt und der Flatlands, des Flachlandes. Darin besteht der mathematische Witz und im Laufe des Romans soll auch die Zweidimensionalität der Welt Bestandteil einer Gesellschaftskritik werden. Das Ständesystem, das ich ansprach, hat sein Fundament in der unterschiedliche Anzahl der Ecken, die die Figuren (Figuren auch im mathematischen Sinne) haben. Je mehr Ecken, desto höher der Stand. Frauen sind Linien. Im Laufe des Romans besucht erst eine Kugel Das Quadrat, nimmt es nach einigen gescheiterten Erklärungsversuchen der dritten Dimension in eben diese mit und offenbart sich im Anschluss auch noch den patriarchalen Herrschern Flachlandes. In den Augen der Romanfiguren ist die Kugel ein Kreis, was ihr eine alles überstrahlende Autorität verleiht, da die Figuren in ihr ein Vieleck mit extrem hoher Eckenanzahl sehen. Inwiefern die Figuren die Kugel sehen, müssen Sie dem Buch entnehmen. So werden die Herrscher der zweidimensionalen Welt, allesamt Vielecke, von der Kugel genötigt, die dritte Dimension anzuerkennen. Doch selbst in dem Wissen, dass sie zumindest an irgendeiner Stelle falsch liegen müssen, bleiben die Vielecken doch lieber auf ihren alten Standpunkten zurück, denn eine höhere Dimension würde die alten Strukturen zweifelsohne zerbrechen lassen. Das Quadrat versucht vergeblich, seine Mitfiguren aufzuklären und wird letzten Endes eingesperrt. Soweit haben Sie die nötige inhaltliche Übersicht und Einführung in die zweite Dimension erhalten und ich kann zu konkreten Textstellen kommen. Hauptteil: Die Frauen Flatlands Die Frauen spielen an vielen Stellen des Romans eine Rolle, eigentlich müsste ich den ganzen Roman analysieren, um die Gesellschaftskritik des Autors in all ihren Dimensionen zu erfassen, doch zu meinem Glück hat ihnen Das Quadrat ein eigenes Kapitel gewidmet, auf das ich mich konzentrieren kann. Dieses Kapitel ist acht Seiten stark, die ersten viereinhalb davon behandeln allein die Gefahr, die von der Form (Figur, wenn mensch so will) der Frau im Flachland ausgeht. Ich hatte in der Übersicht über 4 die Gesellschaft der zweiten Dimension erwähnt, dass eine Figur mit jeder neuen Ecke weiter in der Gesellschaft aufsteigt, damit steigt auch die angeborene Intelligenz, zumindest, wenn den Vielecken Glauben geschenkt werden soll. Je mehr Ecken eine Figur hat, desto intelligenter ist sie. Frauen sind Linien. Der Ursprung der Gefahr durch Frauen ist eben diese Linienform, denn wenn mensch erfährt, dass gleichschenklige Dreiecke Soldaten sind und ihnen ihre spitze Ecke als Waffe dient, kann mensch sich auch ausmalen, wie gefährlich Frauen mit ihren punktförmigen Ecken sind, was auch der Grund ist, warum sie in ihrer Freizügigkeit mehr oder weniger stark eingeschränkt werden, wie Das Quadrat im ersten Teil des Kapitels schildert. „Ist ein Soldat ein Keil, ist eine Frau eine Nadel“4, lautet gleich der zweite Satz des Kapitels. Ich gehe hier nicht tiefer auf den unterschwelligen, objektifizierenden Klassismus gegenüber den niedrigeren Ständen ein, das ist in der zweiten Dimension ein ganz eigenes Thema, nur kurz angemerkt soll dieser Klassismus hier sein. Doch der Fokus soll auf der Frau liegen, welche ebenfalls als Objekt, eine Nadel, gesehen wird. Nadeln sind nicht nur durch ihren Bezug zu Hausarbeiten stereotyp weiblich assoziiert. Es geht neben der Objektifizierung auch eine Gefahr von ihnen aus, die Das Quadrat in den darauf folgenden Sätzen weiter konkretisiert. „ Sie ist sozusagen nur ein Punkt, zumindest an ihren beiden Enden. Hinzu kommt, dass sie sich praktisch unsichtbar machen kann. Daher ist mit einer Frau in Flatland nicht zu spaßen.“5 Eine gewisse Boshaftigkeit wird den Frauen mit dem letzten Satz zusätzlich unterstellt. Das rechtfertigt entsprechende Gesetze, diese erinnern mit Verordnungen wie: „Keine Frau darf sich unter Androhung der Todesstrafe in der Öffentlichkeit bewegen [sic] ohne ständig Warnrufe abzugeben“6, an einen totalitären Staat, in dem die Überwachung und Kontrolle so perfekt ist, dass nicht einmal der Staat mehr einzugreifen hat, da die Menschen sich selbst überwachen. In den nächsten Zeilen verstärkt sich dieser Eindruck. Das Quadrat meint: „Ich habe bereits erwähnt, dass in weniger zivilisierten Staaten Frauen in der Öffentlichkeit ständig ihre hintere Seite von rechts nach links schwingen müssen. Diese Sitte ist unter Damen guter 4 Vgl. Abbott Abbott, Edwin: Flatland Eine phantastische Geschichte über viele Dimensionen, 2. Aufl., Nordhausen, DE.: Verlag Traugott Bautz, 2015, S. 33 5 Vgl. Abbott Abbott, 2015, S. 33 6 Vgl. Abbott Abbott, 2015, S. 35 5 Herkunft seit Menschengedenken allgemein üblich, und es ist eine Schande für die Regierung eines Staates, dass gesetzlich vorgeschrieben werden muss, was für eine ehrbare Dame ein natürlicher Instinkt ist.“7 „Seit Menschengedenken“ kann hier als Traditionsappell bemerkt werden, es ignoriert, dass gesellschaftlicher Wandel möglich ist und verleiht der vorher erwähnten Selbstkontrolle eine Legitimität, die allein darauf fußt, dass Menschen, bzw. Figuren, sich aufgrund der Tradition einer Sitte nicht denken können, dass es auch andere Optionen gibt. Die Gesellschaft, nicht das Gesetz, bestimmt auch wieder, wenn es eine „Schande für die Regierung eines Staates [ist] , dass gesetzlich vorgeschrieben werden muss, was für eine ehrbare Dame ein natürlicher Instinkt ist“. Eigenständiges Denken ist für Frauen nicht möglich, denn die Gesellschaft erlaubt in ihrem Bild einer Frau keine Intelligenz, doch das übersieht Mann gelind und wirft der Frau eben diese Einfältigkeit vor, wie wir es im folgenden Kapitelabschnitt sehen. Der zweite Teil des Kapitels beherbergt für meine Zwecke eine größere Menge an Informationen. Während es im ersten Teil nur um die Gefahr durch die Figur von Frauen geht, beschreibt Das Quadrat im zweiten Teil eine Vielzahl von Eigenschaften, die Frauen zugeschrieben werden. Es schreibt: „ Es soll jedoch nicht der Eindruck entstehen, unsere Frauen seien gefühllos. Aber leider verdrängt beim schwachen Geschlecht die Leidenschaft des Augenblicks jegliche vernünftige Überlegung. Das ergibt sich notwendig aus ihrer unvorteilhaften geometrischen Verfassung“8. Der Begriff des „ schwachen Geschlecht[es]“, wie er im dreidimensionalen Raum ebenfalls nicht unüblich war, in manchen Kreisen noch ist, sticht heutigen Menschen ins Auge, wie eine ungeschickte Frau in Flachland es laut Dem Quadrat mit einem ihrer beiden Enden tun würde. Mit der „ Leidenschaft des Augenblickes“ ist wohl kaum eine romantische Begierde oder besondere Konzentrationsfähigkeit auf den Augenblick gemeint. Die Wendung behauptet viel mehr eine Unfähigkeit zur Einordnung des Jetzt in der Zeit, klarere Worte dafür findet Das Quadrat im restlichen Kapitel. Frauen können sich weder an die 7 Vgl. Abbott Abbott, 2015, S. 36 8 Vgl. Abbott Abbott, 2015, S. 37 6 Vergangenheit erinnern, noch die Zukunft in ihrem Handeln beachten. Im dritten Satz deutet sich ein naturalistischer Fehlschluss, welcher uns im nächsten Auszug begleiten wird, in seinen Grundzügen schon an. Der Auszug lautet „ Da sie keinen Winkel haben, stehen sie in dieser Hinsicht unter den geringsten der gleichschenkligen Dreiecke.“9 Die „ Hinsicht“ bezieht sich hier auf die Fähigkeit, ihre Emotionen unter Kontrolle zu halten und Entscheidungen basierend auf Fakten, statt Gefühlen, zu treffen. Dieses Mal allerdings wird kein Traditionsappell wie weiter oben im Text verwendet, Das Quadrat greift auf einen Sein-Sollen-Fehlschluss, auch naturalistischer Fehlschluss, zurück. Der Mangel an Winkeln hat keinerlei Einfluss auf die Fähigkeit zum rationalen Denken, die den Frauen nämlich durch einen zugeschriebenen Mangel an Intellekt schon vor ihrer Geburt genommen wird. Vor allem aber, das ist für die feministische Sache von höherer Bedeutung, rechtfertigt ein naturgegebener Mangel an Winkeln nicht den Stand der Frau innerhalb der zweidimensionalen Gesellschaft, auch nicht, wenn Mann die Natur hinter der weiblichen Impulsivität sieht. Der Fehlschluss wird in den folgenden Sätzen sogar noch weiter ausgebaut: „ Sie haben keinerlei Verstand, es fehlt ihnen die Gabe der Reflektion [sic] , des rechten Urteilens und der Voraussicht, und sie haben nur wenig Gedächtnis. In ihren Wutanfällen kennen sie daher keine Grenzen und können sich hinterher an nichts erinnern.“10 Der oben schon erwähnten Impulsivität werden jetzt noch ohne Hehl das vollständige Fehlen von Verstand, Selbstreflexion, Urteilsfähigkeit und Voraussicht sowie ein schwaches Gedächtnis, im zweiten Satz noch Jähzornigkeit, hinzugefügt. Es gibt wenig, das eine Frau in diesem Weltbild noch von einem Tier unterscheidet. Indirekt betont Das Quadrat dies noch zusätzlich, wenn es sagt: „ Daher sollte man eine Frau nicht reizen“, „Frau“ könnte hier problemlos durch „ Vieh“ ersetzt werden, „ solange sie in der Lage ist, sich herumzudrehen.“11 Hier hat das Vieh seinen Stall gefunden. Ein Zimmer, „ das so gebaut ist, dass sie sich darin nicht herumdrehen kann“12 . Die (wortwörtliche, wie sinnbildliche) Ausrichtung der Frau am Mann wird in die physische Realität integriert, denn: „ In den Haushalten von Kreisen und Vielecken ist seit jeher Sitte – und ist unter den 9 Vgl. Abbott Abbott, 2015, S. 37 10 Vgl. Abbott Abbott, 2015, S. 37 11 Vgl. Abbott Abbott, 2015, S. 37 12 Vgl. Abbott Abbott, 2015, S. 37/38 7 Frauen der Oberschicht zu einer Art instinktivem Verhalten geworden –, dass die Mütter und Töchter ständig Auge und Mund auf den Haushaltsvorstand und seine männlichen Freunde richten.“13 Weiter heißt es: „‘Einmal eine Frau, immer eine Frau’, schreibt die Natur vor, und die Gesetze der Evolution [Anmerk. des Verf.: Zugewinn an Winkeln mit jeder neuen Generation] verlieren zum Nachteil der Frau ihre Gültigkeit. Doch können wir die weise Voraussicht rühmen, die festgelegt hat, dass Frauen, da sie keine Hoffnung haben, auch kein Gedächtnis haben, das sie daran erinnert und keinen Verstand, der ihre verzweifelte Lage begreift, die eine Notwendigkeit ihrer Existenz ist und die Grundlage der Verfassung von Flatland.“14 Die Rollen der Gesellschaft und der Gesetze, welche in Wechselwirkung miteinander entstehen und als „ Verfassung von Flatland“ bezeichnet werden, finden hier wieder ihr vorgetäuschtes Fundament in der Natur. Es gibt kein Entkommen vor der Natur, damit auch kein Entkommen vor dem Schicksal, welches die Frauen in den niedersten Stand, gerade so über Tieren, zwingt. Abschluss: Klärung der satirischen Natur und Fazit Ich habe Ihre Aufmerksamkeit jetzt schon für eine lange Zeit beansprucht, doch will ich hiermit auch vor diesem Abschnitt meiner Arbeit nicht mit Beschwichtigungen sparen, dass ich mich kurz halten werde und die Klärung des Status als Karikatur nur durch eine Liste von Anzeichen geschehen wird, statt noch einmal sieben Seiten zu schreiben. Wie komme ich nun darauf, dass der Autor Flatlands mit seiner Misogynie die damaligen Verhältnisse karikieren wollte, statt ihnen Recht zu geben? Vielleicht half ihm, dass er die Verhältnisse in allen räumlichen Dimensionen herrschen ließ und sie so wieder einmal naturalistisch legitimierte. Ein wesentliches Element der Karikatur ist die Ironie, doch womöglich meinte Abbott die plumpen, frauenfeindlichen Ausführungen ja bluternst? Vielleicht baut Abbott mit dem Quadrat in der zweiten Dimension gar keine Paralleldimension auf, in der er die Verhältnisse übertrieben darstellen kann, wie es neben der Ironie für eine Karikatur üblich ist? Damit wäre meine bisherige, feministische, Deutung wertlos und ich müsste den Titel negieren, der von einer feministischen Intention 13 Vgl. Abbott Abbott, 2015, S. 39 14 Vgl. Abbott Abbott, 2015, S. 40 8 unseres rechtwinkligen Autors ausgeht. Rechtwinklig nicht nur im Roman, sondern auch in der Realität, in der er die gleichen Ansichten hat, wodurch die Erzählinstanz und die Person des Autors Abbott verschmelzen. Ich leugne nicht, dass ich nicht einwandfrei klarstellen werden kann, dass Flatland eine Satire ist, einfach weil Abbott sich dazu nie glasklar geäußert hat und ich ihm die Frage heute nicht mehr stellen kann. Trotzdem sprach ich von einer Liste an Anzeichen, die ich Ihnen nicht vorenthalten will. Der heutige Konsens ist, dass Flatland eine Satire ist. Biografisch kann zunächst hervorgehoben werden, dass Abbott Sohn eines christlichen Sozialisten unter monarchischer Herrschaft war. Die Theologie spielte in seinem ganzen Leben und seiner Familie eine sehr starke Rolle, er selbst war ein aufgeschlossener Theologe und mit seinen kritischen Büchern ein Unruhestifter unter den britischen Theologen. Ich habe mich dem Titel nach im Text auf die Frauen Flatlands fokussiert, die Parallelen zu der viktorianischen Gesellschaft gelten nicht nur im Bezug auf die Frauen, auch auf die Ständegesellschaft und der Unterdrückung jeglicher abweichender Meinungen: Das Quadrat schreibt den Roman im Gefängnis, nachdem es seine Landsleute von der dritten Dimension zu überzeugen versucht hat. Seine Biografie allein deutet also schon auf eine Aufgeschlossenheit und einen gewissen Hang zur Ablehnung starrer Systeme hin. Zusammen mit der überzeichneten Darstellung der viktorianischen Gesellschaft gibt das erste konkretere Anhaltspunkte, dass Flatland eine Satire ist. Ich kann an dieser Stelle leider nicht mehr auf die genauen Gegebenheiten des viktorianischen Zeitalters in England eingehen, wie es mein Titel eigentlich verlangt, es sei aber gesagt, dass es zunehmend zu einer innenpolitischen Demokratisierung kam, wobei die unteren Gesellschaftsschichten und Frauen um jede Verbesserung ihrer Lage kämpfen mussten, gerade Frauen waren durch die Gesellschaft an Haus und Herd gebunden, wie es Flatland karikiert. Diese Rolle hatten sie schon von Geburt an inne und konnten ihr kaum entfliehen, wie Das Quadrat es im Buch beschreibt: „ Einmal eine Frau, immer eine Frau“. Ziel war es für jeden Menschen, in der Gesellschaft aufzusteigen (in Flatland mathematisch festgehalten durch den Zugewinn 9 an Winkeln mit jeder neuen Generation). Das Frauenwahlrecht in England wurde erst im 20. Jahrhundert eingeführt. Das, was einer konkreten Aussage Abbotts selbst zu seinem Roman und dessen satirischer Natur am nächsten kommt, ist die Aussage, die Abbott im Vorwort der zweiten Ausgabe 1884 in der dritten Person über sich selbst bzw. Das Quadrat tätigt: „ Es wurde ihm vorgeworfen, er sei ein Frauenhasser. […] Im Laufe seiner siebenjährigen Gefangenschaft hat er sich selbst verändert, und auch seine persönlichen Ansichten bezüglich Frauen und gleichschenkliger Dreiecke des unteren Standes haben sich geändert.“15 So weit, so unspezifisch. Die nächste Aussage jedoch könnte Dem Quadrat in der zweiten Dimension womöglich den nicht vorhandenen Kopf kosten. „Er neigt nun dazu, der Ansicht der Kugel zuzustimmen, dass Frauen in vielen wichtigen Dingen den Kreisen überlegen sind.“16 Das kann als direkter Angriff auf die Herrscher des Flachlandes gesehen werden, die als die am weitesten oben stehenden Figuren der Gesellschaft mit den bestienhaften Frauen verglichen werden. Nichtsdestotrotz betrifft diese Aussage unsere dritte Dimension nicht, was sich mit dem nächsten Satz ändern soll. „Doch schreibt er als Historiker und hat sich daher (möglicherweise in zu großem Maße) die allgemeinen Ansichten in Flatland zu eigen gemacht, genauso wie Historiker in Spaceland (das hat man ihm gesagt) in ihren Schriften (bis vor kurzer Zeit) die Schicksale von Frauen und von großen Massen der Menschheit nur selten für erwähnenswert erachtet oder einer genaueren Untersuchung unterzogen haben.“17 Sehr viel konkreter kann Abbott die satirische Natur des Romans nicht ausdrücken, ohne eben diese Satire zu verlassen. Um wirklich allen Menschen seine persönliche Distanz zu den Gesellschaftsstrukturen Flachlandes (und damit denen des viktorianischen Englands) klar zu machen, meint er nur noch: „ Doch möchte er sich von den Ansichten der Aristokratie und der Kreise lossagen, die einige Kritiker ihm zugeschrieben haben.“18 Auffällig ist hier, dass die Aristokratie als verachtenswerte Gesellschaftsform direkt genannt wird. 15 Vgl. Abbott Abbott, 2015, S. 15 16 Vgl. Abbott Abbott, 2015, S. 15 17 Vgl. Abbott Abbott, 2015, S. 15 18 Vgl. Abbott Abbott, 2015, S. 15 10 Damit möchte ich meine Ausführungen zu Flatland beenden, jenem Platonschen Höhlengleichnis über viele Dimensionen. Ich erwähnte schon früher, dass zum vollständigen Erfassen der Satire eigentlich eine Analyse des ganzen Buches und der Person Abbott von Nöten wäre, doch glaube ich, dass weder Sie, noch ich, den Ausmaßen eines solchen Analysetextes zugeneigt wären, zudem wird Abbotts Standpunkt meiner Meinung nach auch allein anhand der Textbeispiele hinreichend ersichtlich. So kann Flatland also mit Fug und Recht als Satire des viktorianischen Englands, wie ich es oben beschrieben habe, bezeichnet werden. Vielleicht ist es an einigen Stellen einer Satire der aktuellen Welt näher, als manche es für möglich halten würden. 11 Quellenverzeichnis: Bild auf dem Deckblatt stammt vom Cover des Romans, bearbeitet 1: https://youtu.be/4xJQA32GG3o?t=198 bzw. https://www.arte.tv/de/videos/107398-006-A/mathewelten/ 2: Online auf Englisch einsehbar: https://en.wikisource.org/wiki/Flatland_(second_edition) 3: https://www.bpb.de/kurz- knapp/lexika/politiklexikon/17484/feminismus/ Hauptquelle: Abbott Abbott, Edwin: Flatland Eine phantastische Geschichte über viele Dimensionen, aus dem Englischen von Daniel Tibi, Verlag Traugott Bautz 12
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