Gegen Ende des Jahres 2020 verloren zwei Männer ihre Freiheit. Einer war ein mutmasslicher Kriegs­verbrecher. Der andere hatte die Verbrechen untersucht. Der eine landete im Gefängnis. Der andere im Polizeischutz.

Der eine hiess Hashim Thaçi, ein Kriegs­held, gefeierter Widerstands­kämpfer und der erste Premier­minister Kosovos. Er musste am 5. November 2020 als kosovarischer Präsident zurück­treten, wurde noch gleichentags verhaftet und nach Den Haag gebracht, um dort vor einem Kriegsverbrecher­tribunal angeklagt zu werden, er habe zum Ende des Kosovo­krieges Hunderte Menschen gefangen nehmen, foltern und töten lassen.

Der andere hiess Dick Marty, ein ehemaliger Schweizer Ständerat aus Lugano. Er hätte die Verhaftung Thaçis mit sanfter Zufriedenheit aufnehmen können. Schliesslich hatte er zehn Jahre zuvor den Grundstein für die Anklage Thaçis gelegt, als er als Sonder­berichterstatter für den Europarat mutmassliche Kriegs­verbrechen der kosovarischen Befreiungs­armee UÇK in Kosovo und im Norden Albaniens untersuchte und schwere Vorwürfe gegen Thaçi und andere Führungs­personen der UÇK erhob.

Aber Marty kümmerte die Verhaftung im November 2020 so wenig wie der Prozess­beginn vergangenen Frühling. Er war längst auf seiner nächsten Mission, in seinem letzten grossen politischen Kampf, die Abstimmung über die Konzern­verantwortungs­initiative. Danach wollte er seine politische Karriere abschliessen, sich aus der Öffentlichkeit zurück­ziehen.

Marty verlor die Abstimmung. Aber er gewann den Ruhe­stand, den er schon so lange ersehnt hatte.

Er dauerte nur 18 Tage.

Dann, am Freitag­nachmittag des 18. Dezember 2020, tönte aus Martys Handy die Marsch­musik des «chant des partisans», sein Klingelton. Marty nahm den Anruf an. Am anderen Ende sprach der Kommandant der Tessiner Kantons­polizei und warnte: Es gebe eine ernste und unmittelbare Gefahr für Martys Leben. Er werde sofort unter Personen­schutz gestellt.

Marty hörte zu, dann stellte er eine Frage. Sie bestand aus nur einem Wort: Balkan?

Der Kommandant bejahte. Und damit änderte sich Martys Leben so radikal, wie er es sich in seinen absurdesten Gedanken nicht ausgemalt hätte. 16 Monate lang lebte Marty unter schwerem Schutz­regime der Polizei. Nie musste ein Politiker so lange so stark geschützt werden.

Die Gefahr?

«Ich vermutete damals UÇK-Nostalgiker», sagt Marty heute. Er lag falsch.

(Hab hier mal die Einleitung zum Artikel gepostet)