Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) lässt sich bei der Polizei in Mönchengladbach ein neues GPS-Monitoring-System zeigen. Die Verkehrsdatenspeicherung erhöhe die Wahrscheinlichkeit, Pädokriminelle und andere Verbrecher zu überführen, sagt der Innenminister von Nordrhein-Westfalen. Das Ampel-Aus dürfe ihre Einführung nicht verzögern.

Herr Minister Reul, als Konsequenz aus der Terrorattacke von Solingen trägt Ihr grüner Koalitionspartner nun sicherheitspolitische Vorhaben mit wie die anlasslose Verkehrsdatenspeicherung. Bisher hatten die Grünen das abgelehnt. Hätten Sie gedacht, das in Ihrer Ministerzeit noch zu erleben?

Doch, damit habe ich gerechnet. Aber ich dachte nicht, dass es jetzt so flott geht. Ich war in der Sache schon lange im vertrauensvollen Gespräch mit den Grünen, auch als sie in Nordrhein-Westfalen noch in der Opposition waren. Seit wir hier die ersten großen Kindesmissbrauchskomplexe von Lügde oder Bergisch Gladbach systematisch aufarbeiten, hat bei vielen Grünen eine Nachdenklichkeit eingesetzt. Denn bei einem sind wir uns einig: Neue Herausforderungen bedürfen neuer Antworten.

Nordrhein-Westfalen ist es zudem gelungen, das ebenfalls schwarz-grün regierte Schleswig-Holstein und das grün-schwarz regierte Baden-Württemberg für eine gemeinsame Bundesratsinitiative an Bord zu holen. Das Ziel war, vor allem auch beim Thema Verkehrsdatenspeicherung Druck auf die Ampel zu machen. Das hat sich jetzt erledigt, die Ampel ist zerbrochen. Bleibt das Thema Verkehrsdatenspeicherung nun wieder liegen? Wäre es nicht besser gewesen, es wäre wenigstens das von der FDP bevorzugte „Quick Freeze“-Verfahren gekommen?

Erstens: Ob die Ampel das wirklich wollte, bezweifle ich. „Quick Freeze“ hatte es ja noch nicht einmal in das sogenannte Sicherheitspaket geschafft, das die Ampel als Reaktion auf Solingen verabschiedet hatte. Abgesehen davon ist das Verfahren nicht im Ansatz das, was die Sicherheitsbehörden in der Praxis brauchen. „Quick Freeze“ sieht vor, dass bei einem Anfangsverdacht wegen einer Straftat von erheblicher Bedeutung der Provider kontaktiert und durch eine Sicherungsanordnung in Bezug auf den oder die benannten Tatverdächtigen zum „Einfrieren“ der vorhandenen Daten verpflichtet werden kann. Klingt erst mal gut, ist aber eine Ablenkungsnummer. Jeder, der sich fachlich damit beschäftigt, weiß, dass es sich um Etikettenschwindel handelt.

Warum?

Nicht alle Telekommunikationsunternehmen speichern automatisch Daten, weil sie nach aktueller Rechtslage ja auch nicht dazu verpflichtet sind. In solchen Fällen liefe „Quick Freeze“ also per se ins Leere. Denn wo nichts mehr ist, kann auchnichts „eingefroren“ werden. Und selbst wenn Daten da sind, dürften sie nach diesem Verfahren erst ab Beginn des Bekanntwerdens der Straftat gesichert werden. Bei allen Taten, die sich über die Strecke entwickeln, wo man Verläufe nachweisen muss, hilft „Quick Freeze“ also kein bisschen. Nötig ist die Verkehrsdatenspeicherung mit einem gesetzlich normierten Sicherungszeitraum. Der Ermittlungserfolg im Kampf gegen Terrorismus und Kindesmissbrauch oder auch bei der organisierten Kriminalität darf aber nicht vom Zufall abhängen. Eine Auswertung des BKA zeigt am Beispiel von uns aus Nordamerika gemeldeten Hinweisen auf Kindesmissbrauchsfälle, dass der Ermittlungserfolg durch eine gesetzliche Speicherverpflichtung von IP-Adressen schon in den ersten Wochen auf 90 Prozent steigt. Die Verkehrsdatenspeicherung erhöht also die Wahrscheinlichkeit, dass wir Verbrecher kriegen, enorm. Wie lange wollen wir es noch verantworten, massenweise Pädokriminelle davonkommen zu lassen und ihren Opfern nicht zu helfen? Das klingt, als hielten Sie „Quick Freeze“ für eine Form von Strafvereitelung …

… so weit gehe ich nicht. Es ist gut, in so einer wichtigen Frage hart zu ringen und Argumente auszutauschen. Das ist jetzt aber geschehen, alle wissen, was zu tun ist. Jetzt müssen wir es auch tun. Könnte das Aus der Ampel eine Chance sein, weil das Veto der FDP jetzt wegfällt?

Es wäre jedenfalls wichtig, dass es nun auch bei Fragen der inneren Sicherheit nicht zum Stillstand kommt. Faktisch gibt es längst eine klare Mehrheit für die Verkehrsdatenspeicherung im Bundestag. Die maßgeblichen SPD-Innenpolitiker machen sich schon lange dafür stark. Und wenn drei schwarz-grüne Bündnisse in den Ländern so eine Bundesratsinitiative hinbekommen, dann muss es möglich sein, das endlich zu regeln. Wir werden jedenfalls nicht lockerlassen.

Bleibt als ein Problem nicht die Rechtsunsicherheit bei der Speicherung von Telekommunikationsdaten?

Die gibt es nicht mehr. Durch die Urteile des Europäischen Gerichtshofs von 2022 und aus diesem Jahr ist die Sache geklärt. Mit Letzterem hat er die unterschieds­lose Speicherung von IP-Adressen und ihnen zuzuordnender Identitätsdaten nun nicht mehr nur allein auf die Zwecke des Schutzes der nationalen Sicherheit, des Kampfes gegen schwere Kriminalität und die Verhütung schwerer Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit begrenzt. Ausdrücklich hat das Gericht diese Form der Verkehrsdatenspeicherung zur Bekämpfung von Straftaten im Allgemeinen geöffnet. Wir sind uns mit den Grünen einig, dass es höchste Zeit ist, den Rechtsrahmen nach strengen rechtsstaatlichen Maßgaben auszuschöpfen. Auch der Richterbund spricht sich für eine Speicherung von IP-Adressen aus. Wer jetzt noch dagegen agitiert, ist ideologisch verhärtet, verbreitet oftmals gezielt Unwahrheiten und muss sich selbst die Frage stellen, ob er damit leben kann, wenn zum Beispiel Missbrauch nicht gestoppt wird. Wen meinen Sie damit?

Etwa sogenannte Netzaktivisten. Die Behörden gehen rechtsstaatlich mit den Ins­trumenten um, die sie zur Verfügung haben. Davon können Sie ausgehen. Wir durchleuchten ja nicht ungehemmt un­bescholtene Bürger. Es geht hier um die Terrorbekämpfung, den Kampf gegen Kindesmissbrauch, um Cybercrime und organisierte Kriminalität. Verkehrsdaten wie IP-Adressen, Verbindungs- und Stand­ortdaten sind vergleichbar mit dem einzigartigen Fingerabdruck einer Person oder der DNA-Spur in der analogen Welt und unterstützen maßgeblich bei der Identifizierung von Tatverdächtigen und Aufklärung von Straftaten. Stellen Sie sich mal vor, die Ermittler wären gesetzlich verpflichtet, auf das Sichern von Fingerabdrücken oder DNA-Spuren zu verzichten. Absurd, oder? Zumal sich alle Formen der Kriminalität in den vergangenen Jahren immer weiter auch in die digitale Welt verlagert haben. Wer begeht denn heute noch einen Raubüberfall? Das findet doch alles mehr und mehr im Netz statt. In der Polizeilichen Kriminalitätsstatistik des Bundes finden Sie un­ter dem Punkt „Straftaten unter Nutzung des Tatmittels Internet“ für die Jahre zwischen 2015 und 2022 eine Steigerung von 62 Prozent. Cybercrime hat um 156 Prozent zugenommen, die Verbreitung von pornographischen Inhalten im Netz um rund 600 Prozent. Und im Bereich organisierte Kriminalität erfahren die Ermittler Tag für Tag etwa durch abgehörte Te­lefonate oder Vertrauenspersonen von zu­rückliegenden Straftaten. Um diese gerichtsfest zu verifizieren, Mittäter und Hintermänner ausfindig zu machen, braucht man aber sehr häufig Verbindungsdaten aus der Vergangenheit.

Das heißt: Die Polizei kann aktuell regelmäßig gar nicht das ganze Ausmaß von Verbrechenskomplexen durchleuchten?

Genau das, und auch Einzeltäter kommen ungeschoren davon. Ein Beispiel ist Cybergrooming, bei dem meist männ­liche Täter schon Kinder per Messengerdienst kontaktieren und auffordern, von sich Nacktbilder zu schicken. Wenn sich das Kind dann seinen Eltern offenbart und zur Polizei geht, bekommen die Ermittler vom Plattformbetreiber zwar die Daten, die hinter dem Nicknamen des Täters stehen, wie die IP-Adresse. Aber dann ist Schluss. Denn regelmäßig heißt es vom Telekommunikationsunternehmen: Wegen fehlender Speicherfristen haben wir leider keine Informationen mehr zu dieser IP-Adresse. Die Tat bleibt ungesühnt, und der Täter hat vielleicht schon sein nächstes Opfer gefunden.

  • lucullus
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    1 month ago

    Die 90% hat sich sich jemand aus dem Arsch gezogen. 90% wovon denn bitte?! Immer wieder dieselben Mist Argumente. Und in der Zwischenzeit sieht es das BKA nicht als ihre Aufgabe an, bekanntes CSAM von File Hostern entfernen zu lassen