In der Corona-Pandemie half der Staat schnell und unbürokratisch. Jetzt schauen die Behörden genauer hin. Für viele Unternehmen wird das ungemütlich. Ein Gastbeitrag.
Die Pandemie ist überstanden, Arbeitsplätze blieben erhalten, Unternehmen wurden gerettet. All das gelang auch dank staatlicher Hilfe: Die Antragstellung bei den Überbrückungshilfen war mühsam. Es dauerte, bis der positive Bescheid kam. Doch das Geld floss, wie es die Regierung versprochen hatte. Und nun kommt 2023 die überraschende E-Mail vom Steuerberater: Ein Rückforderungsbescheid sei eingegangen. Alle Überbrückungshilfen werden zurückgefordert – insgesamt ein Millionenbetrag. Zahlbar innerhalb eines Monats, sonst drohen Vollstreckungsmaßnahmen und hohe Zinsen.
Was sich wie ein Albtraum anhört, ist für Hunderte von Unternehmen schon bittere Realität – und noch viele Tausende werden folgen. Denn sie trifft nun eine rechtliche Besonderheit: Alle staatlichen Überbrückungshilfen während der Corona-Pandemie wurden unter dem Vorbehalt der vollständigen Überprüfung und Rückforderung gewährt. Die Unternehmen müssen Schlussabrechnungen einreichen, bis zum 30. Juni oder, nach beantragter Fristverlängerung, bis zum 31. Dezember 2023. Alle Daten kommen erneut auf den Prüfstand. Dabei bedienen sich die Bewilligungsstellen großer Beratungsunternehmen, die sie unterstützen sollen. Tausende Berater stehen bereit. Kein Wunder: Allein die Überbrückungshilfe III haben über 500.000 Unternehmen in Deutschland beantragt, und es wurden mehr als 33 Milliarden Euro ausbezahlt. Und nun wird neu geprüft – oder erstmals?
Denn wenn man Steuerberater fragt, hört man unisono: 2021 wurde fast alles genehmigt. Es gab kaum Nachfragen. Die rechtlich schwammigen Bedingungen wurden zugunsten der Unternehmen ausgelegt, wenn die Unternehmen ergänzende Angaben machten. Es galt, Arbeitsplätze zu retten. Doch mit Antritt der Ampelkoalition änderte sich dies. Es wurde nicht nur genauer hingeschaut und so dauerte die Antragsbearbeitung oft monatelang – das wäre noch zu verschmerzen. Nein, viel schlimmer: Die Rechtslage wurde plötzlich oft ganz anders beurteilt als noch im Jahr 2021. Was früher unbedenklich erschien, wurde nun problematisiert. Oder Anträge abgelehnt und Rückforderungen erlassen mit dem offenen Hinweis, dass nach Abstimmung mit dem Bundeswirtschaftsministerium nun eine andere Ansicht vertreten werde.
Große Insolvenzgefahr?
Das betrifft alle Branchen. Industrieunternehmen wie zum Beispiel Autozulieferern oder Maschinenbauern wird plötzlich vorgehalten, ihr Umsatzeinbruch sei 2021 doch nicht „coronabedingt“ gewesen, was aber Voraussetzung der Förderung sei. Die Behörde ist der Ansicht: Das Kundenverhalten habe sich allgemein geändert. Selbst bei Friseuren heißt es mit staatlicher Kälte: Die Menschen nutzen deren Dienstleistungen eben weniger, vielleicht inflationsbedingt. Exportorientierte Unternehmen müssen sich belehren lassen, dass ihre Produkte im Ausland wohl schlicht weniger gefragt seien als früher. Viele Unternehmer macht so etwas fassungslos. Bis zum 31. Dezember 2019 war das Unternehmen gesund, dann brechen Umsätze um mehr als 80 Prozent ein – und das soll nicht auf Corona beruhen? Darauf gehen die Behörden oft nicht ein.
Ähnlich hart ist die Praxis nun bei dem Thema „Unternehmensverbund“, vor allem in den Branchen der Gastronomie und der Hotellerie. Wenn Unternehmen rechtlich zu einem Unternehmensverbund gehören, müssen sie das im Rahmen der Antragstellung offenlegen – und der Verbund soll gemeinsam beantragen, nicht jedes Unternehmen einzeln. Das verhindert Mitnahmeeffekte. Doch was ein Unternehmensverbund ist, wird europarechtlich definiert, ist im Detail hochkomplex und in Nuancen sehr umstritten. Anders noch als 2021 werden nun Unternehmen von der Behörde schnell zu einem Verbund zusammengefasst– mit der Folge, dass alle bisherigen Anträge der betroffenen Unternehmen vermeintlich unzulässig waren.
Drastisch ein Fall aus Süddeutschland: Zwei Geschwister betreiben jeweils unabhängig voneinander ein Hotel, stehen sogar in Konkurrenz zueinander. Sie haben Überbrückungshilfen erhalten. Nun meint die Behörde: Das sei ein Unternehmensverbund, da eine familiäre Verbindung vorliegt – und fordert die Hilfen zurück. Bundesweit vertreten Bewilligungsstellen plötzlich, dass familiäre Beziehungen zwischen Unternehmen „unwiderlegbar“ zu einem Unternehmensverbund führen, und berufen sich auf das Europarecht. Doch weder ist dies dort normiert, noch hat es die EU-Kommission je so vertreten. Woher diese harte Praxis kommt, können sich viele Steuerberater und Anwälte nicht erklären.
Manche böse Stimme murmelt, Berlin möchte Milliarden aus der Überbrückungshilfe für andere Projekte der Ampelkoalition zurückholen. Sicherlich auch in einigen Fällen zu Recht, wo Hilfen nicht hätten gewährt werden dürfen. Doch oftmals waren Unternehmen und deren Steuerberater gutgläubig, haben die Anträge redlich gestellt, Hilfen erhalten und auf deren Bestehen vertraut. Sie erwischt die Rückforderung nun unerwartet – und führt die Unternehmer nicht selten in die Gefahr der Insolvenz.
Doch so einfach ist es für den Staat nicht: Selbst, wenn alle Hilfen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gewährt sind, müssen sich die Stellen an den Richtlinien und den dazu erlassenen Fragekatalogen festhalten lassen. Und auch das Verwaltungsverfahrensrecht schützt das Vertrauen der Unternehmen. Immer mehr von ihnen ziehen deshalb vor die Verwaltungsgerichte, auf die eine Klagewelle zurollen könnte, wenn die Regierung in Berlin nicht gegensteuert und die harte Praxis der Bewilligungsstellen stoppt. Doch dafür gibt es derzeit keine Anzeichen – ganz im Gegenteil.
Der Autor ist Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Partner der Kanzlei Fieldfisher in Hamburg.
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