Ich hab einige Vorurteile gegenüber Arch und würde euch gerne vielleicht darum bitten, dass Ihr mir mit euren Erfahrungen und Input diese beseitigt.
Häufig, wenn ich was negatives über Arch sage, sind Fanboys sauer, ohne zu erklären, wieso. Ich hab irgendwie das Gefühl, dass ich mit meinen bisherigen Ansichten vielleicht falsch liege.
Deswegen das Change-My-View. Ganz unten im Post erläutere ich nochmal genauer, wieso mir das so wichtig ist.
#Das wären folgende Punkte:
1. Nur als DIY-Distro valide
Ich finde den "Deine-Distro-Aspekt cool. Selbst mit dem vereinfachten Archinstall hat man damit was sehr individuelles geschaffen und kriegt das Gefühl, als hätte man was tolles selbstgebastelt, auch wenns nach Anleitung war, und das find ich super.
Was ich aber nicht ganz verstehe sind vorkonfigurierte, archbasierte Distros wie EndeavourOS und co. Wieso will man sich die Nachteile von Arch, ohne den klaren Vorteil der Individualität, antun?
2. Unzuverlässig
Weitere Annahme: Arch geht ständig ohne Grund kaputt. Grub zerschießt sich, Abhängigkeiten gehen flöten, usw.
Und wenn man sich beschwert, heißt es “Hättest halt die Patchnotes ausm Forum gelesen und wie wir alle paar Tage gewartet, selber Schuld.” oder so. Das hab ich schon mehrfach gehört.
Selbst erfahrene Archuser sagen, man sollte es nicht auf PCs installieren, die kritisch wichtig sind (Arbeitslaptop, usw.).
Wie sind da eure Erfahrungen?
3. Wenig Community-Beistand, elitäre Snobs, generell teils unfreundliche Community
3.1. “Wenn du kein Arch benutzt, bist du kein richtiger Linuxuser” 3.2. Anfängern Arch empfehlen 3.3. Blinder Fanboyism: Fehler schönreden und jedem, auch wenn er nicht in die Zielgruppe passt, Arch empfehlen
Natürlich sind das auf keinen Fall alle Arch-User. Die meisten, also die stille Mehrheit, sind wahnsinnig toll und haben uns beispielsweise, von anderen Distros, das Arch-Wiki zur Verfügung gestellt, wofür ich sehr dankbar bin.
4. Schwieriger Paketmanager-Syntax
Egal ob dnf, apt, zypper, etc., alle sind von den Basic-Befehlen austauschbar wenn man einen kennt. Pacman und die AUR-Helferlein sind für jemand Außenstehenden aber etwas weird. Yay hier, -Ss da, -Syu wann anders, usw. Warum nicht einfach “update” oder “install” statt dem von Arch? Finde/ fand ich als Arch-Noob seltsam.
5. Das AUR verliert an Bedeutung
Ich benutze Fedora Silverblue und hab da einen Arch-Distrobox-Container. In dem hab ich Zugriff auf alle AUR-Programme. Bisher hab ich das ein einziges Mal gebraucht, sonst bezieh ich alles über Flatpak oder andere Distrobox-Container-Distros.
Genau das kann jeder auf anderen Distros auch machen, ohne den Aufwand, der von Arch ausgeht. Wieso also Arch installieren, wenn ich es einfach containerisieren kann?
Nix gibt es ja auch noch, und das hat ein ähnlich großes Repetoire an Apps und läuft sogar ohne Distrobox.
6. Rolling-Release liefert keine gute tolle User-Experience
Ich kann hier leider nur von OpenSuse-Tumbleweed sprechen, da ich Arch bisher noch nie (so wirklich) installiert habe. TW fand ich ganz gut, aber bin dann doch wieder auf Fedora zurückgewechselt. Aus 2 Gründen:
- Deutsches Internet ist scheiße: wöchentlich mehrere GBs an Updates herunterzuladen war nervig und ich war mehr mit Updaten als mit Zocken beschäftigt
- Es hat sich recht unpolished angefühlt. Ich finde, Software braucht einfach ein paar Wochen oder Monate, bis die gröbsten Fehler behoben wurden. Es lief alles zwar im großen und ganzen okay (keine nennenswerten Totalausfälle.), aber ich hatte den Eindruck einer dauerhaften Beta.
Bei Ubuntu und Fedora beispielsweise ist man immer ein paar Monate hinterher, aber dafür fühlt sich alles sehr polished an. Gleichzeitig ist es, im Gegensatz zu Debian beispielsweise, immer noch sehr modern.
7. Es ist nur was für Hobby-Linuxuser
Aus den oben genannten Gründen hab ich irgendwie den Eindruck, dass nur Leute, die Linux als Hobby, und nicht als Betriebssystem zum Zocken, Arbeiten, usw., verwenden, Arch toll finden.
Im RL habe ich bisher noch niemanden getroffen, der (u.a. beruflich) was mit Linux zu tun hat und Arch toll findet. Im Gegenteil. Ich hab das Gefühl, dass die meisten “Profis” irgendwann wieder auf Mint oder Ubuntu zurückgehen.
Ich, als tollpatschiger, eher Casualuser, sehe das genauso. Ich bin kein IT-ler und habe keine Lust, mich nach der Arbeit oder am hart verdienten Wochenende mit einem zerschossenen Betriebssystem auseinanderzusetzen und für 2 Stunden Zocken 5 Stunden Foren zu durchstöbern. Da finde ich mein jetziges immutable System sehr bequem und zuverlässig.
8. Minimalismus ist nicht immer gut
Arch wirbt ja mit der “nur, was du brauchst”-Philosophie. Ich mag aber viele vorinstallierte Pakete. Diese erhöhen für mich die Wahrscheinlichkeit, dass alles reibungslos funktioniert, z.B. Drucker, DE-Features, usw.
Natürlich finde ich den Bloat auf Windows beispielsweise mega ätzend und too much (Candy Crush, usw.), aber den “Bloat” auf Linux fand ich noch nie störend. Ich hab ihn oft nicht mal gemerkt. Besonders für Anfänger und Casual-User sind nützliche vorinstallierte Programme… nützlich 🙃
Sprachlich war einiges bestimmt etwas provokant ausgedrückt. Ich möchte Arch auf keinen Fall schlechtreden, es ist mit Sicherheit eine tolle Distro mit vielen Anhängern. Ich möchte einfach nur verstehen, wo der Reiz daran ist und ob meine Vorurteile falsch sind.
Mir ist das wichtig, da ich hier auf Lemmy (und ehem. Reddit) viel “Beratung” für Neueinsteiger betreibe und denen aushelfen möchte, genauso wie man mir vor ein paar Jahren geholfen hat. Quasi den “Generationenvertrag” aufrecht erhalten. Und da wäre es echt blöd, wenn ich Vorurteile weiterverbreite, das will ich nicht.
Liegt das daran, dass du masochistische Züge hast, oder daran, dass ich nicht alt genug bin, um die Anfänge von Linux miterlebt zu haben und das nachvollziehen könnte?
Wenn ich das richtig verstanden habe, war Linux, vor Ubuntu, kein “benutzbares” Desktop-OS für die potentiell breitere Masse. Die ganzen Urgestein-Distros wie Slackware, Debian, Arch, Gentoo, usw., sind auch heute noch, wenn und wo sie verwendet werden, recht minimalistisch OOTB ausgestattet und erwarten gewisse Vorahnung.
Lag deine Entscheidung damals mit Gentoo und Arch einfach nur daran, dass es kaum nutzerfreundlichere Distros zu dieser Zeit gab? Oder war es eine bewusste Entscheidung, direkt ins kalte Wasser zu springen?
Masochistisch stimmt irgendwie schon, ich hatte mir mit Absicht eine Distribution gesucht die möglichst kompliziert war ohne Slackware oder Linux from Scratch zu sein (so verrückt bin ich dann auch nicht). Ich wollte etwas mit dem ich möglichst viel von der Benutzung und Linux Administration lernen konnte, und dann war ich einfach dabei geblieben.
Ich finde Gentoo noch heute deutlich einfacher als die meisten anderen Distribution, wenn man erstmal verstanden hat wie Linux unter der Haube funktioniert und wie alles zusammen gehört. Das ist wie bei einem Oldtimer, zu lernen damit umzugehen und sie zu fahren mag am Anfang deutlich schwerer sein aber man lernt dabei auch sehr viel und wenn was kaputt geht dann ist fast sofort klar wo und wie. Die “einfachen” Distributionen haben ganz viele Systeme um einem die komplizierten Sachen vom Hals zu halten, aber wenn was Kaputt geht dann ist alles versteckt und vergraben in verschachtelten Komponenten.
Ich bin eigentlich nur deswegen von Gentoo weg weil das ganze Kompilieren einfach zu viel Zeit verschlungen hatte, und das was es mir irgendwann nicht mehr wert.
Ich habe immer Mal wieder andere Distributionen, auch Ubuntu und Linux Mint, ausprobiert aber die ganzen Systeme die sie da eingebaut haben um es Benutzerfreundlich zu machen, all die vielen Automatisierungen, das steht mir einfach im Weg und ich haben mit diesen Distributionen viel mehr Schwierigkeiten. Ich persönlich empfinde Ubuntu und Konsorten für fast so schlimm wie Windows was die Bevormundung angeht, diese Distributionen sind toll so lange man sie ganz genau so benutzt wie die Macher sich das vorgestellt haben, aber weiche etwas ab und die Abgründe tun sich auf.
Arch Linux war nah genug an Gentoo dran, vom Grad der Freiheit und der Reduziertheit, um mir nicht im Weg zu stehen und einfach das mit zu machen was ich machen will.