Spannendes Interview aus dem Spiegel darüber, warum Menschen gegen Bürgergeld sind, wenn sie selbst von Armut bedroht sind. Ich denke, dass das viele Phänomene in unserer Gesellschaft erklärt.
Da sieht man wieder was Merz, Spahn und Konsorten doch für bescheidene, einfache Leute sind. So, wie diese Typen den Sozialstaat verabscheuen, müssen sie ja bettelarm sein. Zum Glück weiss man ja, wo man notfalls spenden kann.
Hab erst “den Sozialstaat verscheuern” gelesen, war erstaunlich passend.
Weil den Leuten halt seit zig Jahren eingetrichtert wird, dass Sozialhilfeempfänger selber Schuld sind und nur auf der faulen Haut liegen, während sie mit zwei Jobs dagegen anarbeiten, selber abzurutschen, was dann wiederum als unfair verkauft und wahrgenommen wird.
Deutschland befindet sich nun in einem anhaltenden wirtschaftlichen Abschwung. Das verstärkt die Wahrnehmung in einer Nullsummenlogik: Viele Menschen denken, was eine Gruppe bekommt, kann zwangsläufig einer anderen nicht mehr zur Verfügung stehen.
Auch ein wichtiger Punkt, der zudem den Sozialneid verstärkt.
Viele Menschen denken, was eine Gruppe bekommt, kann zwangsläufig einer anderen nicht mehr zur Verfügung stehen.
Das ist ja auch prinzipiell richtig, ich verstehe nur die Schlussfolgerung nicht. Wenn man das Vermögen der reichsten 10 Personen mit 1% besteuern würde, hätte man die komplette Sozialhilfe wieder drin
Das Problem ist ja, dass genau das gerade nicht passiert und da hast du dann die harte Gerechtigkeitslücke. Das ploppt in allen aktuellen Debatten auf - natürlich weiß die Mittelschicht, dass sich die Reichen und Superreichen mit Lobbyismus, Verschieben von Vermögen, Steuertricks, Anwälten und Sonderregeln um ihren Teil drücken werden. Und dann kommt halt bei der Debatte um höhere Erbschaftssteuern an, dass es um höhere Steuern auf Omas Häuschen geht und bei der Debatte um Vermögenssteuern, dass es darum geht, eine Sondersteuer auf die Altersrücklage blechen zu müssen.
Ja eben. Und das verstehe ich nicht. Wie kann es sein, dass die meisten Leute tatsächlich bei der Frage nach Gerechtigkeit überlegen ob man den ärmsten noch ein paar Prozent weniger geben kann, weil die das ja nicht verdient haben, anstatt daran zu denken wie extrem viel mehr das reichste Prozent hat
Das hat mit der Topf-Metapher zu tun (wi z.B. in “Fördertopf”, oder Budget im Allgemeinen). Vereinfacht gesagt: Wenn der “Topf” gefüllt ist, dann bekommt jeder etwas daraus, für untershiedliche Zwecke. Der eine bekommt seine Werbungskosten zurückerstattet, weil er mit dem Auto zur Arbeit fährt, jemand anderes bekommt einen Vorschuss zum Unterhalt des Kindes, wieder jemand bekommt Sozialhilfe, jemandem wird die Zahnfüllung bezahlt, usw.
Nun ist es so, dass ein (echter) Topf ein recht überschaubares Volumen hat und dieser dann schnell leer ist, wenn alle was rausnehmen. Das ist beim Staat natürlich nicht so, da ja auch was in den “Topf” wieder reinkommt, hauptsächlich durch Steuern. Das wissen die Politiker natürlich, aber sie verwenden die Topf-Metapher ja selbst, um verschiedene Interssensgruppen gegeneinander auszuspielen, und um zu implizieren, dass für eine Sache nur so viel Budget vorhanden ist.
Viele Leute glaube aber, dass sie benachteiligt werden, wenn jemand was aus dem “Topf” nimmt, was ihm vermeintlich nicht zusteht - z.B. die Bezahlung der Lebenshaltungskosten, obwohl man ja prinzipiell arbeitsfähig wäre. Schließlich arbeitet man ja selbst auch und man selbst hat es ja immer am schwersten. Oder, dass jemand neue Zähne bekommt, obwohl man doch weiss, dass ausbleibende Zahnpflege zu Karies führt. Der Arme bekommt den Zahn bezahlt (bekommt aber dafür nur das Kassenmodell), der Reiche muss mindestens was zuzahlen, damit man die Prothese nicht sieht. Unfair - schließlich putzt der Reiche sich die Zähne, und ist auch sonst auf doe Gesundheit bedacht! Nicht so wie der Arme, der nur gezuckertes Fertigessen konsumiert.
Leute, die sowas anderen neiden, vergessen aber, dass sie selbst ja auch die eine oder andere Zuwendung aus dem “Topf” bekommen (z.B. Kindergeld oder die Erstattung der Fahrkosten).
Eine Besteuerung der reichsten 10 Leute würde auf jeden Fall dafür sorgen, dass sich der Topf nie leert.
Lebe defacto seit 10 Jahren in Armut. Wann immer Leuten, die weniger haben als ich, eins auf den Deckel bekommen haben, hatte ich nicht einen Cent mehr. Im Gegenteil, wenn die Grundsicherung erhöht würde, würde ich am Ende auch mehr Geld bekommen. Man muss also nicht so sein.
Das ist die Haltung, die ich intuitiv erwarten würde. Wenn sich die Situation für Menschen im Bürgergeld verbessert, verbessert sie sich für alle, die davon bedroht sind. Entweder weil sie nicht so tief fallen würden, wenn es sie erwischt, weil sie über das Aufstocken profitieren könnten oder weil der Arbeitgeber mehr bieten muss, um die Leute in der Firma zu halten.
Warum viele Menschen eben nicht so denken habe ich durch diesen Artikel besser verstanden.



