Ich selber habe keine Kinder, daher frage ich:
Wird durch die Nutzung solcher Kindersicherheits-Apps nicht in gewisser Weise die ständige Überwachung normalisiert?
Wenn Eltern solche Apps heimlich - also ohne explizite Kenntnis des Kindes - installieren, dann kommt doch ein einigermaßen cleveres Kind irgenwann dahinter, dass es von den Eltern überwacht wird, wenn es mit seinem Fehlverhalten konfrontiert wird. Und selbst, wenn Eltern offen kommunizieren, dass eine Kindersicherheits-App “zum Schutz der Kinder” installiert wird, dann lernt das Kind doch gar nicht erst, dass es auch ein Recht auf Geheimnisse und Privatsphäre hat.
Wird durch sowas nicht eine Generation herangezogen, die einer generellen Massenüberwachung dann unkritisch gegenübersteht, weil sie selber ja auch immer überwacht worden sind und das als den Normal-Zustand betrachten?
Ich kann ja nachvollziehen, dass Kinder keine Apps mit der Kreditkarte der Eltern kaufen sollen (und die Eltern dann ein Auge darauf haben), aber das kann man doch einschränken, in dem die Kinder von ihrem Taschengeld eine Playstore-Karte kaufen lässt.
Als Elternteil: Die geheime Nutzung von Apps ist absolut abzulehnen und aus meiner Sicht auch nicht mit geltendem Recht vereinbar.
Was anderes ist die offene Nutzung von Kindersicherheits-App: Kinder sind nicht in allen Altersstufen dazu geeignet mit dem vollen Umfang eines Smartphones umzugehen - gleichzeitig ist die Devise “dann sollten sie halt gar kein Smartphone/keinen PC haben” absoluter Blödsinn. Denn a) gibt es einfach auch schon sehr früh Apps die einen enormen pädagogischen Mehrwert haben - und mittlerweile auch in den Angeboten von Schulen integriert werden. (Anton sei ein Beispiel) b) macht eine schrittweise Heranführung auch pädagogisch einfach mehr Sinn - von null auf 100 ist einfach eine dumme Idee c) ist das Web einfach voller Inhalte die nicht für unbedarfte Kinder- und Jugendlichenhände geeignet sind und leider ist das oft nicht mal für Erwachsene so auf den ersten Blick sichtbar. Wir haben im Bekanntenkreis zuletzt den Fall erlebt,dass jemand bewusst bei WhatsApp nach Mädchen gephised hat. (Kümmert sich nun das LKA drum.) Und was too much für ein 10 jähriges Kind ist,ist es ggf. nicht für ein 12 oder 24 jähriges Kind. (Und nein,hier geht es nicht nur um Gewalt und Porn) D) ist auch das Thema Medienkonsumzeit nicht zu unterschätzen. Natürlich kann ich das ggf. regeln indem ich das Device abgeben lasse und nur fallweise rausgebe. Vielleicht will ich aber unterschiedliche Nutzungszeiten ermöglichen je nach Kategorie der Nutzung? Gespielt werden darf nur 1h und insgesamt nur 6h pro Woche? Aber die LernApps dürfen unabhängig davon bis zu X Stunden benutzt werden? Und mit der Oma Chatten geht immer? Und was ist wenn das Kind in der Woche lieber ne Stunde mehr am PC spielen würde als am Handy? Hier sind die Apps einfach massiv im Vorteil. Und was ist,wenn das Kind seine Nutzungszeit Sonntag Morgen wenn du noch achläfst in Anspruch nehmen will? E) stellt das natürlich auch eine Frage der IT Sicherheit dar - man will schlicht nicht,dass jeder Mist im eigenen Heimnetz landet,nicht nur weil dadurch schnell Rechnungen ins Haus flattern können,selbst wenn man die Kinder Devices in einen eigenen Netzabschnitt verbannt.
Das Thema Überwachung ist ein schwieriges Thema. Einerseits musst du (und dazu bist du übrigens sogar verpflichtet - gibt’s im Rahmen der Garanten- und Aufsichtspflicht Urteile zu) die Nutzung hinreichend beaufsichtigen um das Kind, aber auch Dritte, entsprechend zu schützen, aber willst und solltest auch Themen ansprechen können die sich aus dem Nutzungsverhalten ergeben. Das betrifft auch und gerade die Außenkommunikation, aber auch Surfen,etc . Andererseits willst du natürlich auch die Privatsphäre des Kindes respektieren und vorleben wie wichtig dies ist.
Wir selber nutzen dafür tatsächlich eine externe Anwendung, sowohl am PC als auch Smartphone, allerdings von einem deutschen Hersteller (Salfeld KiSi) die auch Geld kostet. Das Kind weiß, dass die App drauf ist (das zeigt die App offen an,kann man auch gar nicht verstecken) und weiß,dass wir sehen welche Website es aufruft und wann der Filter (Whitelist) greift. Wir betreiben ferner einen eigenen Matrix Server um eine gesicherte Kommunikation mit der Verwandtschaft zu ermöglichen. Diese lesen wir bewusst nicht mit (ist auch über die App nicht möglich).Die Kommunikation auf diesem Weg ist für uns jederzeit off-Limits, werden wir nie anfassen, man hört ja auch nicht die Telefongespräche mit der Oma Theoretisch weiß das Kind auch,dass es eine PIN auf die App selber legen kann um noch privatere Kommunikation zu ermöglichen. (Hat es zu Weihnachten auch tatsächlich gemacht um den Geheimnisfaktor zu erhöhen bezüglich Geschenke. So trainiert man auch Datenschutz…hehe…)
So langsam kommt das Thema chatten mit Freunden auf, hier werden wir in den nächsten Monaten einen Versuch starten. Der/die beste Freund/Freundin kriegt einen Zugang zu unserem Server (die Eltern sind da eh schon,sind auch Freunde von uns), bei zwei weiteren Freunden muss es eine Bridge zu Signal tun. Hier ist ausgemacht,dass wir am Anfang (3Monate) noch gelegentlich mit lesen, danach dann nicht mehr. Dabei geht es uns aber eher darum, parallel Grundkonzepte der Mediennutzung im Medium “Chat” zu vermitteln (tatsächlich wird das aber parallel auch von der Schule umfangreich vermittelt - 2-3h pro Woche).
Im Bereich der Webnutzung arbeiten wir mit einer Whitelist die Sachen wie FragFinn.de aber auch Wikipedia, div. selbst freigeschaltete Websites (z.B. rund um die Hobbies, aber auch andere Nachschlagewerke, kindgereche Aufklärung, ÖRR, die hiesige Tageszeitung,etc. ) und eine von der Schule empfohlene Liste an Quellen/Sites umfasst. Die Nutzung ist bei uns im “Roaming”-Modell zwischen den Devices und nach Kategorie. aufgezogen,sprich: Wer am PC zu lange Minecraft gezockt hat kann danach nicht mehr an Handy daddeln,aber z.B. noch mit Anki Vokabeln lernen oder die Hausaufgaben in der Schul-App nachsehen, aber viele z.B. nach 21 Uhr nicht mehr.
Ich kriege einmal in der Woche einen entsprechenden Bericht den ich dann kurz überfliege ob ich z.B. Sachen in die Whitelist aufnehmen muss oder ob ich Sachen ansprechen muss. (Beispiel: Neulich kam das Thema Abtreibung auf - hatte das Kind in den Nachrichten gehört, wollte mehr wissen. Wir haben so das Gespräch suchen können. Durch die offene Wikipedia hat es halt viel “Zugang”, aber andererseits sind wir beide in der Medizin tätig - bei uns stehen sprichwörtlich Fachbücher für Gynäkologie, Rechtsmedizin und Forensik im Wohnzimmer,da hätte Kind natürlich auch nachsehen können. War am Ende ein gutes Gespräch weil tatsächlich Sachen offen geblieben sind)
Will das Kind etwas nachsehen ohne das wir es mitkriegen hätte es dazu an der Schule die Möglichkeit &weiß das auch. Hinter den Kulissen bereite ich aber gerade den Umstieg in Richtung Blacklist vor,leider ist hier die verwendete KiSi App nicht das gelbe vom Ei, da die Blacklist relativ aufwendig zu pflegen ist. Wir haben zwar im Heimnetz eine UTM mit Filter laufen (OPNsense mit ZenArmor),aber das hilft mir natürlich bei einem Mobilfunk-Gerät wenig, theoretisch kann ich natürlich ein mandatory VPN erzwingen,aber das ist nur so mäßig zuverlässig. Mal sehen wie wir das lösen,bis dahin hab ich aber noch mind. 1 Jahr Zeit.
Noch eine Anekdote zum Thema Privatsphäre: Das Kind hat tatsächlich eine App selber dauerhaft mit Passwort/Biometrie geschützt - Joplin. Denn da kann man wunderbar Texte vorschreiben die man dann bei Gelegenheit ins Tagebuch überträgt und Geschenkideen sammelt. Hab ich tatsächlich vom Kind gelernt,dass das geht.
Just two cents.
Vielen Dank für diese Einblicke. So habe ich das nie betrachtet (als ich Kind/Jugendlicher war, da war das Internet auch noch … anders). Ihr scheint aber auch technisch sehr versiert zu sein (Matrix Server). Ist natürlich auch eine Menge Arbeit, das alles am Laufen zu halten. Viele andere Eltern mit Kindern werden das wohl nicht haben.
Was ich rauslese ist, dass ihr auch offen mit dem Kind kommuniziert, 1. dass dessen Medienkonsum - und nicht das Kind als Individuum - über eine App kontrolliert wird und 2. dass anscheinend auch genügend Vertrauten zu euch als Eltern vorhanden ist, um kompliziertere, gar intime Themen (z.B. Abtreibung) ohne Scham anzusprechen.
Könnte sich vielleicht auch das Gegenteil daraus entwickeln, dh Kinder die Ausspähen durch ihre Eltern erfahren mussten legen als Erwachsene vielleicht besonders Wert auf Privatsphäre weil sie die psychischen Folgen erfahren haben. Wird wahrscheinlich von Person zu Person unterschiedlich werden.